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Ein unsichtbares Band entsteht:
Der Bauchnabel ist die erste Narbe, die man für immer und ewig an seinem Körper trägt. Eine korrekte Bezeichnung wäre eigentlich Muttermal. Egal ob groß, klein, gewölbt oder krumm: Seinen Bauchnabel sollte man mit Stolz tragen, denn er ist das einzigartige Zeichen dafür, dass man den langen und beschwerlichen Weg in dieses Leben gemeistert hat. Dafür musste man ganz schön viele Strapazen auf sich nehmen. Von den ersten Entwicklungsstadien im Mutterleib über die Bildung von vielen Milliarden Zellen, die uns schließlich zu einem richtigen Menschen formten. Das war wirklich Schwerstarbeit. Nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Mutter.
Mit der Abnabelung nach der Geburt bekommt man also seine erste ganz persönliche Prägung. Seinen individuellen Stempel, den man fortan gut sichtbar in seiner Körpermitte herumträgt. Nach dem Durchtrennen der Nabelschnur wird die Verbindung jedoch nicht gekappt. Im Gegenteil: Erst so kann ein kleiner Mensch der Mutter gänzlich nahe sein. Haut an Haut und Herz an Herz, Liebe auf den ersten Blick. Ein unsichtbares Band entsteht.
Mutterschaft ist eine Entscheidung
Auch für den Fall, dass man nicht biologisch mit seiner Mutter verwandt ist, kann die Bindung besonders stark sein. Denn eins ist sicher: Mutterschaft ist eine Entscheidung, die man tief aus dem Herzen trifft. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Kind bei seiner leiblichen Mutter aufwächst. Der Grundstein einer glücklichen Kindheit wird nämlich auf Liebe gebaut. Durch sie brennt in jedem Kind ein einzigartiges Feuer, dessen Flammen durch unerschütterliches Ur-Vertrauen, wunderbare Erinnerungen, schützende Arme und einzigartige Momente genährt werden. Dann entsteht dieses besondere Kribbeln in der Bauchmitte, das durch den Geruch von frischgemähtem Gras, Gesang am Lagerfeuer oder dem Knirschen von Schnee unter den Stiefeln verursacht wird. Oft sind es die ganz kleinen Dinge aus der Kindheit, die diese zu etwas ganz Besonderem machen. Und es sind die Menschen, die uns dabei umgeben.
Wenn die Jungvögel das Nest verlassen
Jetzt, wo ich selbst Mutter bin, kann ich viele Dinge besser verstehen. Die ständigen Sorgen darüber, ob es den Kindern gut geht, die unterschwellig stets präsente Angst, ob man auch alles richtig macht, dieser riesengroße Batzen Verantwortung, der den eigenen Alltag bestimmt und natürlich das prall gefüllte Herz voller Dankbarkeit.
Ich spüre den Schmerz, wenn es meinen Kindern nicht gut geht. Ich fühle es so stark, wenn sie Sorgen haben. Ich empfinde auch Wehmut, wenn sie etwas Neues lernen und wieder ein Stück mehr flügge werden. In solchen Momenten mischen sich Glück und Traurigkeit, denn körperlich brauchen sie mich fortan ein Stück weniger. Dann stehe ich da, wie eine Vogelmutter, die ihren Jungen beim ersten Flug zuschaut. Ich bin stolz und ein wenig nostalgisch, aber gebe ihnen trotzdem den notwendigen Schubs, auch wenn es ein kleines bisschen Abschied bedeutet. Irgendwann verlassen sie alle ihr Nest.
So erwische ich mich manchmal, wie ich schon heimlich eine sentimentale Träne verdrücke, wenn ich an die bevorstehende Einschulung in einigen Jahren denke. An den ersten Hochzeitstanz unserer Tochter mit ihrem Papa, der bei seiner Rede wässrige Augen bekommt. An den Moment, in dem meine Kinder vielleicht selbst einmal Eltern werden und einen Teil unseres Bandes weiter stricken. Es ist noch so weit weg und doch so nah.
Von Freibadpommes und Kinderlachen
Am stärksten fühle ich jedoch die Freude, wenn ich das schallende Lachen meiner Kinder höre, das wie ein kleiner fröhlicher Donner in meinem Herzen nachhallt. Und manchmal, wenn ich selbst den Duft von Sonnencreme auf der Haut rieche, während ich an den Geschmack von Freibadpommes auf meinen Lippen denke, dann höre ich auch mein eigenes Kinderlachen wieder, das ganz tief aus meiner Bauchmitte kommt. Dort, wo mein Nabel ist und die Flamme, mit der alles begann. Im eigenen Nest, bei meiner Mutter. Bei meinen Eltern.
Das Wunderbare an dem Ganzen ist, dass jeder Mensch eine Mutter hat. Egal, ob es die biologische Bauchmama, eine liebende Großmutter oder die Herzmama ist. Eine Mutterrolle kann jeder übernehmen. Vielleicht ist es auch eine nichtverwandte Person, die dieser Rolle in unserer Kindheit stets gerecht geworden ist. Eine Person, zu der man bis heute aufschaut. Diese Verbindung ist für immer.
Mein schönstes Spiegelbild
Es kamen die Momente, in denen ich mich als Mama das erste Mal so richtig im Spiegel betrachtete. Manchmal mit verweinten Augen, weil die Nächte wieder kurz waren. Oftmals mit zerzausten Haaren, weil die Zeit zum Kämmen nicht gereicht hat. An manchen Tagen mit zwei unterschiedlichen Socken, weil der Wäschekorb überquoll und manchmal mit bunten Aufklebern auf der Kleidung, weil gerade Bastelstunde war. Es waren jedoch nicht diese Dinge, auf die mein Blick fiel, sondern auf die Frau, zu der ich geworden war. Dankbar, einzigartig, mit all meinen Stärken und Schwächen. Ich sah mich pur und verwundbar und dennoch kraftvoller, als jemals zuvor. Plötzlich war ich angekommen und betrachtete ehrfürchtig den Menschen, den die Mutterschaft aus mir gemacht hatte. Ich sah ein Stück meiner eigenen Mutter in mir und das machte mich verdammt stolz.
Mütter sind alles und noch mehr
Abgesehen von der magischen Fähigkeit, Leben in diese Welt zu setzen beweisen Mütter täglich, dass sie unglaubliche Wesen sind. Sie sind Tränentrocknerinnen und Pflasterkleberinnen. Geschichtenerzählerinnen und Zauberkünstlerinnen. Sie machen Mut, bauen Höhlen, lesen vor, singen Kinderlieder. Sie geben Fußballtraining und Nachhilfe. Organisieren und improvisieren. Sie geben nicht nur ein bisschen, sondern täglich alles.
Der Tag wird kommen, an dem sich unsere Kinder selbst die Pflaster aufs Knie kleben können. Sie werden ihr Essen selbst kochen und sich die Schuhe selber binden. Sie werden dann schon lange ihren eigenen Weg gehen und ihre eigenen Geschichten schreiben. Wir brauchen nicht mehr ihre Hand halten, aber vielleicht haben wir Glück und sie halten eines Tages unsere. In unserem Nest wird immer ein Platz für sie sein. Auch, wenn sie nur zu Besuch sind.
Eine Mutter bleibt man für immer. Als Ratgeberin, Seelentrösterin, vielleicht als Oma oder Zuhörerin. All das basiert auf der Verbindung, die wir von Anfang an geschaffen haben und auf dem Band, das vom ersten Tag an mit all unserer Herzenskraft gewoben wurde.
Jedes Band ist einzigartig
So ist das mit den Bändern. Sie bestehen aus hunderten kleinen einzelnen Fäden, die am Ende ein großes Ganzes ergeben. Manche Fäden sind dicker, manche dünner. Manche haben unterschiedliche Farben, manche sind über die Zeit ein bisschen ausgefranst. Wichtig ist, dass das große Band stets durchgängig ist, denn alles drumherum sind die Erfahrungen und Male des Lebens, die diese Verbindung einzigartig machen.
Danke Mama, dass du niemals loslässt.
Text & Titelbild: Judith Lahfeld
Judith Lahfeld
„Nabelschnurlänge“
ISBN: 978-3-7108-1119-7
(erschienen bei story.one publishing, Hardcover, 18,00 €)
„Kinderspiel“
ISBN: 978-3-7108-2059-5
(erschienen bei story.one publishing, Hardcover, 18,00 €)
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