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Ab einem bestimmten Alter von Frauen beginnen Personen aus dem meist direkten näheren Umfeld, diese zu fragen, wann sie denn Kinder wollen würden. Dabei wird bereits unterstellt, dass Frauen Kinder wollen, ganz unabhängig davon, dass sie welche kriegen können oder auch nicht kriegen können. Es ist ein aufgeheiztes Thema, bei dem unzählige Aspekte in einen Topf geworfen und vermengt werden. Für Betroffene ist es oft nervig, nervenaufreibend und letztlich einfach erschöpfend. Mir ging es lange auch so. Und dass, obwohl wir, mein Mann und ich schon sehr lange wussten, dass wir keine Kinder möchten. Für mich stand schon vor langer Zeit der Entschluss fest:
Ich möchte keine Kinder!
Du auch? Dann bist du nicht allein. Deine und meine Entscheidung sind völlig legitim. Ich darf sie einigermaßen frei entscheiden, zumindest in der Konstellation, in der ich lebe und du hoffentlich auch.
Ich habe nicht vor mit einer Zeigefingermentalität oder getrieben durch Rechtfertigung meine Entscheidung erklären zu müssen, auch wenn ich schon oft in Situationen war, die dies von mir verlangt haben oder ich schleichend oder prompt dazu getrieben wurde. Mir ist wichtig dir zu zeigen, welch persönlicher Prozess hinter der Entscheidung steckt. Denn eins ist klar: Die Entscheidung steht fest und das fühlt sich gut an.
Wenn ich klassischerweise gefragt wurde, wann ich denn endlich Kinder kriegen würde, stand ich nicht selten verdutzt, peinlich berührt und überrumpelt neben mir. Ich wurde zu einer selbstständigen und höflichen Frau erzogen. Auf solch grenzüberschreitende Äußerungen war ich nicht vorbereitet. Das klingt vielleicht etwas naiv, aber was sollte man auch darauf spontan antworten? Jedenfalls war ich in diesen Momenten nicht eloquent genug, um zu kontern. Stattdessen lief ich rot an, lächelte und versuchte ausweichend zu antworten, um letztlich höflich zu bleiben. Mich beschäftigten solche Fragen dann jedoch noch Tage. Daraus habe ich allmählich erkannt, dass eine empfindliche Grenze überschritten wurde und mir wurde aber auch klar, dass (s)ich das ändern musste. Ich wollte und konnte, was meine persönlichen mentalen Ressourcen angeht, nicht länger dieser Fragerei, ja Angreiferei, was es zu dem Zeitpunkt noch war, ausgeliefert sein. Natürlich könnte ich an dieser Stelle die Personen anprangern, die mir diese Fragen gestellt haben oder die Art und Weiße kritisieren, welche Rolle „die Frau“ in unserer Gesellschaft einnimmt. Das sind Faktoren, die zweifelsfrei nicht von der Hand zu weißen sind. Es sind aber auch Faktoren, die ich in meinem Alltag nicht schnell geändert bekomme, gar nicht oder nur zäh. Man denke da an diverse Gesetze wie den §218 StGB, festgefahrene Einsichten auf Stereotype oder Verhütungsmethoden, die weiterhin vornehmlich weiblich verantwortet sind. Natürlich ist es wichtig, dass sich eben genannte Faktoren verändern. Es ist aber auch klar, dass es immer eine Person geben wird, die polternd in ein Porzellangeschäft trampelt.
Die Frage ist also: Was kann ICH in meinem Leben verändern, um mich zu schützen vor diesen Fragen, Unterstellungen, Erwartungen usw.? Was kann ich tun, um meine mentale Gesundheit, um die es letztendlich geht, zu wahren und zu stärken? Und vielleicht, wenn es dir ähnlich geht, kannst auch DU etwas davon mitnehmen.
Es ist so einfach wie schwer: Es ist die Möglichkeit mich und meine Einstellung ändern zu können. Wenn ein spitzer Dartpfeil auf einen prall gefüllten Wasserballon trifft, dann platzt er in tausend Teile. So ungefähr kann man sich die Frage „Was, du willst keine Kinder?“ vorstellen. Eine emotional aufgeladene Frage trifft auf einen emotional aufgeladenen Empfänger und der Ballon platzt. Was, wenn ich aber einfach nicht mehr emotional aufgeladen bin? Richtig, dann kann auch nichts platzen. Keine Erwartung, kein Wunsch anderer, einfach nichts. Und zusätzlich bleibe ich verschont und schütze mich. Ich versuche also mich aus er Emotion zu nehmen, um anderen keine emotionale Fläche zu bieten. Das bedeutet nicht, dass ich ein gefühlsloser Mensch bin, die keine Kinder mag. Ich liebe jedes meiner sechs Nichten und Neffen. Es bedeutet, dass ich gelernt habe, mich wertzuschätzen. Ich darf meinen Wert von Erwartungen anderer entkoppeln, ich darf mich zur Priorität machen, mich und meine Bedürfnisse an erste Stelle setzen. Denn ich bin wertvoll, wunderbar und liebenswert. Und DU auch! Jede und jeder von uns. Wir sind alle etwas Besonderes. Also lass uns je selbst mit dieser besonderen Liebe begegnen, sodass wir so auch anderen begegnen können.
Es ist ein Prozess, die eigene Einstellung zu ändern. Wie stelle ich mich neu ein? Welche Stellschraube gilt es wie stark zu drehen oder welche Mechanismen müssen grundlegend neu etabliert werden? Das ist, denke ich, bei jedem sehr individuell und ich beanspruche keine pauschale Aussage dahingehend zu machen. Ich behaupte auch nicht, dass mich nichts mehr erschüttert, aber ich weiß auch, dass ich bereits viel von und mit mir gelernt habe. Denn das ist es auch: ein ganz persönlicher Lern- und Entwicklungsprozess. Man lernt sich selbst nochmal besser kennen, akzeptieren und lieben. Selbstreflektion ist das Zauberwort. Ein Prozess der eigenen Auseinandersetzung.
Ich fing zunächst also an im direkten und näheren privaten Umfeld klar zu kommunizieren: „Ich will keine Kinder!“ Nicht durch die Blume, nicht durch ausweichendes Antworten, sondern klar und deutlich. Es ist dabei erstaunlich, wie oft ich dies über einen längeren Zeitraum sagen muss(te), damit aus dem gehört werden ein verstanden werden entsteht. Und auch hier kann ich wieder erwähnen, dass es ein Prozess ist. Die meisten Menschen sind träge in ihrem Tun, in ihrem Denken und leider eben auch in ihrem Akzeptieren. Gib deinen Menschen im Umfeld Zeit. Schließlich ist die Entscheidung schon gefallen, wieso also Druck ausüben. Zumal könnte ausgeübter Druck auch so verstanden werden, als ob die Entscheidung nicht endgültig ist und es restliche Zweifel gibt, die geschürt werden können. Ich behaupte mal zu sagen, dass Personen, die sich bewusst dazu entschieden haben, keine Kinder zu kriegen, sich dieser Entscheidung voll und ganz bewusst sind, sie sich dies zum Teil sehr lange überlegt haben oder für sie die Entscheidung ein klares Gefühl des Richtigen auslöst. So etwas ändert sich auch nicht mal eben oder nur weil man ein bestimmtes Alter erreicht hat.
Ein Punkt, an dem ich noch arbeite, der wahrscheinlich schwierigste Punkt, ist das Lastfrei-Sein. Die erwähnten Fragen können verletzen und belasten. Sie be-lasten, wenn ich zulasse, mich be-lasten zu lassen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ich angefangen habe, mich zu entlasten. Ich belaste mich nicht länger mit dem schweren Gepäck, der mir versucht wird aufzusetzen, sondern lasse ihn einfach auf dem Boden stehen. Schaue ich in den Rucksack, so entdecke ich Selbstzweifel von mir und von anderen, gesellschaftlich konstruierte Erwartungen, Bedürfnisse und Wünsche anderer. Brauche ich das? Definitiv nein! Was ich nicht finde, sind meine eigenen Erwartungen, Bedürfnisse und Wünsche im Leben. Lass also den belastenden Rucksack links liegen. Ohne läufts sich sowieso leichter. Falls du diesen oder jenen Rucksack bereits trägst, so möchte ich dir sagen: Du darfst ihn ablegen. Du darfst selbst bestimmen. Du darfst dich trauen deiner eigenen Bedürfnisse Stimme und Ausdruck zu verleihen. Und wenn es dir schwer fällt diesen Rucksack abzulegen, dann frage dich: Warum? Warum ist die Erwartung anderer so wichtig für dich? Machst du deinen Selbstwert an der Meinung anderer abhängig? Niemand sollte DEINE Erwartungen, DEINE Bedürfnisse, DEINE Wünsche bestimmen. Das tust nur du und du darfst das auch.
Ich kann nicht beeinflussen, wie ich in die Welt gestellt bin. Die Gegebenheiten stehen fest und können mal leichter, mal schwerer verändert werden. Was ich jedoch direkt beeinflussen kann, das ist meine Sicht auf die Dinge, auf die Art und Weise, wie ich in die Welt gestellt bin. Das ist der entscheidende Punkt, um den es mir hier geht. Ich kann also entweder bei jeder Frage, die ich zum Kinderkriegen gestellt bekomme mit Abwehr, Provokation oder Verstummen reagieren und mich darüber aufregen, wie unverschämt diese Fragerei ist. Und um das klarzustellen, die Fragerei ist nicht angebracht. Da gibt es nichts zu relativieren. Aber die Frage ist, wie ich damit umgehe und ich meine sowohl meine Reaktion nach außen als auch nach innen. Wie gehe ich mit mir mit diesen Fragen um?
Eine Möglichkeit ist dabei die Methode der Gelassenheit. Warum? Ganz einfach. Warum sollte ich meine Kraft und Energie für jemanden, deren Meinung und Einstellung durch wiederrum unterschiedlichste Faktoren gebildet, erzogen und sozialisiert wurden, aufbringen, wo ich doch von vornherein weiß, dass ich gegen ein festes Mauerwerk spreche? Ich versuche also, so gut es geht, gelassen zu bleiben mit dem Hintergedanken, dass mir MEINE Kraft und Energie zu kostbar für eine höchstwahrscheinlich einsichtslose Auseinandersetzung sind.
Meine zweite Methode besteht darin Verständnis für mich und dann für andere aufzubringen. Hierbei ist die Reihenfolge zu beachten. Zuallererst bringe ich für mich und meine Entscheidung Verständnis auf und erst im Anschluss für andere. Das ist ein einfacher, aber effektiver Schutzmechanismus. Aus Verständnis für mich und für andere wird allmählich Vergebung und Vergebung leert den Rucksack schlagartig. Sie bringt Erleichterung im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein Kind zu kriegen, stellt wohl die gravierendste geplante Lebensumstellung dar und es ist nicht die Angst oder gar Egoismus, sondern der Respekt und die Ehrfurcht vor der gewaltigen und alle Facetten des Lebens betreffenden Aufgabe ein Mensch großzuziehen, zu erziehen und zu pflegen und zu lieben, die mich zu meiner Entscheidung kommen ließ. Die Tragweite eines Geschehens kann nie zu hundert Prozent eingestuft werden, doch fühlt es sich für mich richtig an.
Ich wünsche mir für dich, dass auch du die Entscheidung treffen kannst, wie sie auch aussehen mag, die sich für dich richtig und gut anfühlt.
Text: Madeleine Chantal
Madeleine Chantal
Instagram:
@madeleinechantal
Whispering Voice Autorin:
Fantasy – coming soon!
Publikationen:
Frauenzimmer – Den eigenen Weg gehen
Podcast:
Sunday Talks – Folge 3
Danke für diesen wirklich tollen Artikel. Ich finde es unheimlich wichtig, dass solche Themen Gehör finden. Fragen hinsichtlich einem Kinderwunsch oder einer Schwangerschaft sind unglaublich übergriffig, aber noch immer völlig normal. Ich selbst musste in meinem Umfeld derartige Fragen schon häufig miterleben und für mich ist es völlig unverständlich, wieso sich (teilweise nahezu fremde) Menschen in das Leben anderer einmischen. Das größte Problem dabei ist, dass diese Menschen sich gar nicht bewusst sind, wie sehr sie jemanden mit so einer Frage verletzten und triggern können. Ein Umdenken sowie Akzeptieren aller Wünsche und Entscheidungen muss stattfinden.
Danke, dass du mit uns den Weg deiner / euerer Entscheidung und den damit verbundenen Emotionen hier teilst!